Innerhalb von sechs Jahrzehnten hat sich die Vielfalt der Gewerbebetriebe in Wegscheid (ehem. Markt Wegscheid) grundlegend verändert. Wie rasant das geschah ist wohl wenigen bewusst. Hans Fenzl hat in seinem Beitrag Kurzbeiträge zur Geschichte des Marktes, der Pfarrei und des Gerichtes Wegscheid, in: Markt und Gericht Wegscheid 1360-1960 folgende Liste für das Jahr 1960 zusammengestellt. Erstaunlich viele Handwerksbetriebe gab es damals noch. Und wie 12 Gaststätten und 11 Gemischtwarenhandlungen bei 1439 Einwohnern auf ihre Rechnung kommen konnten, erstaunt heute.
Mit dem Verkauf der Gründe der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Johannes und der Evangelisch-Lutherische Pfründestiftung in Bayern in Wegscheid (ehem. Markt Wegscheid), einer rund 5 Tausend Quadratmeter großen Fläche in Hanglange und inmitten einer kleinteiligen Siedlung, ergeben sich zunächst viele Fragen, Fragen, die ganz unterschiedlich gestellt und beantwortet werden, vom bisherigen Grundeigentümer, dem Bauträger und Immobiliienentwickler, den Nachbarn, der Gemeinde und den Gemeindepolitikern und so fort.
Nach Monaten zeigen sich Spannungen. Dieser Beitrag versucht den unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Gruppen nachzugehen. Daraus ergibt sich ein Blick auf Konfliktpotenziale.
Am 16. September hat der Wegscheider Gemeinderat einen einstimmigen Beschluss zum Bauprojekt des Seniorenzentrums gefasst. Es ging bei diesem Beschluss nicht, wie Bürgermeister Venus schriftlich versicherte, um die erforderliche Bebauungsplanänderung, schon gar nicht um einen Bauantrag. Es ging, wie in einer Nachfrage deutlich gemacht wurde, um die Feststellung gegenüber dem Bauwerber wie die Marktgemeinde grundsätzlich zum Bauprojekt steht und dass sie zu einer erforderlichen Änderung der Bauleitplanung bereit ist.
Der Wortlaut des Beschlusses lautet: Der Marktgemeinderat folgt dem Empfehlungsbeschluss des Bauausschusses vom 29.07.2021, TOP 1, und beschließt, dem Projekt und der erforderlichen Bauleitplanung hierfür ebenfalls zuzustimmen.
Am Immobilienmarkt haben sich in den letzten zwanzig Jahren Seniorenwohnungen und Pflegeheime als lukrativer Zukunftsmarkt etabliert. Seit langem dabei ist die Schellmann Unternehmensgruppe, die in Wegscheid ein neues Seniorenzentrum plant und aktuell in Verhandlungen mit der Gemeinde steht. Das Grundstück hat sie sich von der evangelisch-lutherischen Kirche zusichern lassen. Gekauft wird es erst, wenn alles in trockenen Tüchern ist.
Das Geschäftsmodell ist nicht neu. Ganz prominent engagiert ist beispielsweise seit Ende der 90er Jahre die Deutsche Wohnen SE, gegründet von der Deutschen Bank und mittlerweile im DAX notiert. Zu ihrem Immobilienbestand gehören 77 Pflegeimmobilien mit rund 10Tausend Pflegeplätzen bei über 5Tausend Beschäftigten. Dagegen ist die Schellmann Unternehmensgruppe noch überschaubar.
Mitte August schickte die Schellmann Unternehmensgruppe an die Grundeigentümer der an den Grund der ehemaligen evangelisch-lutherischen Kirche in Wegscheid unmittelbar angrenzenden Liegenschaften eine Einladung zu einer Informationsveranstaltung am 31. August 2021 im Gasthaus Escherich.
Wenig Verständnis, sogar Ärger löste der wiederholte Hinweis aus, dass nur die angeschriebenen Grundeigentümer persönlich eingeladen seien, nicht jedoch Vertreter und Mieter. Mit anderen Worten, wer verhindert ist kann sich nicht vertreten lassen. Wer gerne seinen Rechtsanwalt schicken würde, kann das nicht tun. Und Mieter in benachbarten Häusern, obzwar sie betroffen sind, sind bei der Informationsveranstaltung ebenfalls unerwünscht. Es geht nur um die Grundeigentümer.
Ebenso ärgerlich ist, dass die Informationsveranstaltung von der Schellmann Unternehmensgruppe an einem Wochentag nachmittags, dazu in der Ferienzeit angesetzt wurde, was als Kalkül gelten könnte.
Ist es Sprachlosigkeit, Gedankenlosigkeit oder Unwilligkeit? Inmitten einer kleinteiligen Siedlung im Markt Wegscheid soll ein großes, viergeschossiges Seniorenzentrum mit über neunzig bis zu siebzig Quadratmeter großen Wohneinheiten beziehungsweise Pflegeplätzen gebaut werden und Bürgermeister Lothar Venus ist allem Anschein nach nicht bereit, die Nachbarschaft in geeigneter Weise einzubeziehen, wie beispielsweise im Rahmen einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung.
Mehr durch Zufall wurden Nachbarn darauf aufmerksam als sie eine Begehung des Baugrundstücks von Mitgliedern des Gemeinderates mit dem Bauwerber beobachteten, nachfragten und darauf bestanden, an der Besprechung teilzunehmen.
Sowohl von Seiten der Gemeinde als auch der Schellmann Unternehmensgruppe hörte man, dass es schon seit Monaten (Stand 23.10.2021) Abstimmungsgespräche gegeben habe. Warum werden Bürger*innen und Nachbar*innen als Betroffene nicht entsprechend einbezogen? Nichts dringt von diesen Abstimmungsgesprächen nach außen.
Auch wenn es zunächst den Anschein hat, als hätten in krisenhaften Zeiten autoritäre Führungsstile wieder Konjunktur, der Anschein täuscht. Selbst dort, wo dieser Führungsstil nie infrage gestellt worden ist, beispielsweise in Bereichen der Landespolitik bis hinunter zur Kommunalpolitik, ändert sich das unaufhaltsam. Die Zeit der sogenannten Ortskaiser geht zu Ende, selbst wenn manche das noch nicht erkennen können oder wollen.
Partizipation und Bürgerbeteiligung werden zunehmend von Bürger*innen eingefordert. In Bayerischen Staatsministerien ist das angekommen. So hat das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr 2019 einen umfangreichen, sehr hilfreichen Leitfaden für Bürgerbeteiligung im Städtebau herausgegeben. Unter anderem ist auch auf das vom Land Vorarlberg schon 2010 veröffentlichte Handbuch Bürgerbeteiligung für Land und Gemeinde hinzuweisen, wie auch auf die Webseite des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung des Landes Brandenburg: Beteiligungsverfahren entwickeln und gestalten. Bürgerbeteiligung ist zum einem zentralen Anliegen geworden. Es kommt nun darauf an, das auch einzusehen und anzunehmen.
Was spricht für Partizipation und Bürgerbeteiligung und warum sind diese Modelle zukunftsweisend?
Anlässlich einer Gemeinderatssitzung am 16. September monierte ein Gemeinderat, dass der Ort Wegscheid wieder einmal zu kurz käme und man doch endlich auch etwas für Wegscheid tun müsse. Bei 84 Ortsteilen in der Marktgemeinde Markt Wegscheid gerät der Gemeindeteil Wegscheid sicherlich häufiger ins Hintertreffen, anders, als vor der Gebietsreform, wo der Ort Markt Wegscheid im Wesentlichen die Gemeinde Wegscheid war. Ähnlich wird es wohl anderen Gemeindeteilen gehen, wie Kasberg, Turnreuth, Wildenranna et cetera. Ein Gemeinderat bestehend aus 21 Gemeinderät*innen soll die Interessen aller 84 Orte vertreten. Da liegt es auf der Hand, dass Bürger*innen der Gemeinde nicht selten das Gefühl haben, nicht gehört und vertreten zu werden.
Bürgerbeteiligungs- und Partizipationsmodelle könnten hier einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten, wären ein Schritt in Richtung Gemeinde, fit für die Zukunft im Miteinander.
Spätestens im Zuge der Gebietsreform hätte man sicherstellen müssen, dass der Ort Wegscheid, dem 1360 das Marktrecht verliehen wurde, die Namensbezeichnung „Markt Wegscheid” erhält und die Gemeinde den Namen „Wegscheid”. Es ist aber anders geworden. Der amtlich benannte Ortsteil lautet: „Wegscheid”, während die politische Gemeinde den amtlichen Namen „Markt Wegscheid” trägt. 1
Viele Wegscheider*innen wissen das nicht, denn auf den Ortstafeln liest man immer noch „Markt Wegscheid”, wenngleich nicht mehr auf allen. Auch mir selbst ist das erst in den letzten Wochen klar geworden. Richtig auseinandergehalten wird das aber auch anderswo nicht.
Mitten im Kapellengarten des Ensembles Kohlbauerkapelle platzierte eine Firma große Werbeflächen, eine andere ein Hinweisschild zur örtlichen Filiale, gerade so als sei der Kapellengarten irgendeine Brache, bei der es letztlich keine Rolle spiele. Um es sehr freundlich auszudrücken, das ist sehr unsensibel und könnte mangelnder kultureller und religiöser Bildung geschuldet sein.
Wer weiß, wie viele Monate bereits ein eher dürftiger Webauftritt als Visitenkarte für den Markt Wegscheid dient. Die Webseite wirkt lieb- und leidenschaftslos, als werde ihr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Fast eine Weglegung. Würde man den Webauftritt beurteilen so mit .
Das anspruchslose Layout der Webseite schmerzt zumindest ebenso wie die redaktionelle Vernachlässigung. Wichtige Informationen, wie beispielsweise die Ankündigung von Gemeinderatssitzungen und anderes mehr, waren zuletzt nicht aktuell. Das ist mehr als ärgerlich, da man letztlich doch die Amtstafel vorm Rathaus aufsuchen muss, um verlässliche Angaben zu bekommen. Mit anderen Worten: man kann sich auf die Webseite einfach nicht verlassen.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum man eine schöne, informative und funktionierende Webseite ohne Not durch diese „stümperhafte” Webseite ersetzt hat.
Was im Zusammenhang mit der Kohlbauerkapelle zu bemerken ist: Es ist beschämend, wenn ein Fitnessparcours unter „Sehenswürdigkeiten in Wegscheid” beworben wird, aber die wirklichen Sehenswürdigkeiten, wie die qualitätvolle barocke Friedhofskirche St. Anna (um 1730) oder die Wasserkapelle (um 1770), das Rathaus (ehemaliges Landgericht), das Haus der Familie Weinberger (Samritanhaus) und nicht zuletzt die Kohlbauerkapelle mit den vier 120 jährigen Linden u.a. unerwähnt bleiben. Wen wundert es da, dass unter „Denkmäler” nichts anderes zu finden ist, als ein Verweis auf die Webseite des Landesamtes für Denkmalpflege.
Im Zusammenhang mit dem Beitrag Wegscheids dürftige Webseite
ergaben sich fast zwangsläufig Nachfragen, denn an seltsamen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Webseite (wegscheid-aktuell.de) mangelt es nicht.
Neben der Webseite, der so genannten „DorfPage”, hat der Markt Wegscheid auch das Modul „DorfFunk”, auch „BayernFunk” genannt, in Betrieb. Beide Module werden vom Fraunhofer-IESE angeboten und im Fall Wegscheid in Kooperation mit der Versicherungskammer Bayern als Projekt betrieben. Gefunkt wird im Dorf mittels App via Smartphone. Damit will sich der Markt Wegscheid, dem Marketing des Fraunhofer-IESE folgend, in Richtung digitales Dorf aufmachen, oder wie es neudeutsch heißt, Richtung „Digital Village” auch „Smart Village” genannt. Oder vielleicht doch nicht? Bei diesem Projekt sollte es auch darum gehen, der Nachbarschaftshilfe digitale Beine zu machen.
Es ist wenig in Erfahrung zu bringen, wie viele Bürger*innen der Marktgemeinde diese App überhaupt nutzen und in welcher Intensität und mit welchem Erfolg und zu welchen Kosten. Die Webseite der Marktgemeinde Wegscheid schweigt sich dazu aus.
Der Wegscheider Heimatkundeverein hatte sich Anfang der 70er Jahre gegründet, aus Sorge um die zunehmend verschwindenden Denkmäler, Archivalien und manches Wissen und Geschichten, die bislang nur mündlich weitergegeben wurden. Nach wenigen Jahrzehnten löste er sich auf und verschwand selbst im Dunkel der Wegscheider Ortsgeschichte.
Zwei prächtige als Naturdenkmal ausgezeichnete Linden stehen inmitten von Mitterwasser, einem Dorf etwa drei Kilometer Richtung Südwesten von Wegscheid (ehem. Markt Wegscheid) entfernt.
Sie sind etwa dreißig Jahre älter als die Linden der Kohlbauerkapelle. Aber nicht nur das Alter und der beeindruckende Wuchs zeichnen die Linden von Mitterwasser aus, sondern eine Geschichte, die ich erst vor kurzem gehört habe. Die Linden sollen zum Andenken an zwei im Deutsch-Französchischen Krieg gefallene junge Männer aus Mitterwasser gesetzt worden sein, also um 1870/71. Die Dorflinden von Mitterwasser wären damit Gedächtnisbäume.
einer von 3 Tipps könnte Ihnen schon helfen, auf dem Laufenden zu Informationen zum Wegscheider Winkl, Markt Wegscheid und der Kohlbauerkapelle zu bleiben.
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